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Dr. Hermann Gallhoff

Dr. Hermann Gallhoff
Jahrgang 1932

  


Der dritte Lebensabschnitt

       

Das Verständnis für die Aktivitäten im 3. Lebensabschnitt - das ist die Zeit nach dem offiziellen Ausscheiden aus dem Berufsleben (Pensionierung) - erfordert einen Rückblick auf die beiden ersten Lebensabschnitte, die Ausbildungsphase und die Berufs-, Familienphase zu werfen.

In der Nacht nach Ostern 1943 ereilte mich/uns das Schicksal! Schicksal? Treffender ist es zu sagen: Es war der Bombenkrieg, der von allen Kriegsparteien mit "totaler" Rücksichtslosigkeit geführt wurde und weder Kinder noch Frauen oder alte Menschen verschonte. Eine Luftmine hatte in wenigen Sekunden unser Haus zerstört. Mein Vater zog mich im halbgesicherten Luftschutzkeller aus dem oberen Doppelbett, das mit Steinen und Schutt aus der Decke gefüllt war, heraus und trug mich, den Weg durch die Trümmerschuttmassen und den Brandqualm, der durch zusätzliche Phosphorbomben entstanden war, bahnend ins Nachbarhaus; meine Brüder (7, 9 und 12 Jahre alt) drängten sich dicht hinterdrein. Meine Mutter ließen wir zurück. Sie war durch einen herabgestürzten Balken tödlich getroffen worden. Während mein Vater und meine Brüder unter den Phosphordämpfen und -Verbrennungen zu leiden hatten, machten mir die zahlreichen, zum Teil sehr schweren Kopfverletzungen zu schaffen. Mir war ein Sehrest von 5% verblieben. 18 Monate später nahmen Bomben meinem Vater das Leben und 5 der ganz nahen Verwandten!

Ich kann mich nicht erinnern, meine Behinderung bejammert zu haben. Das Leben ging, trotz der wahrhaftig herben Verluste und Einschnitte, weiter. Außerdem hatte ich das lange Siechtum meines jüngsten Bruders vor Augen, der an einem unheilbaren Muskelschwund litt,

- entscheidend gefördert durch die Phosphorbombenverletzungen und die Folgeerkrankungen

- und schließlich 14-jährig verstarb. Meine Sehbehinderung war im Verhältnis zu seinem Leidensweg leichter zu ertragen.

Von Anfang an war es mein unbeugsamer Wille, mit meinen Brüdern und Freunden, Schritt zu halten und nur im äußersten Notfall auf Hilfe Dritter zu bauen. Selbständigkeit gilt mir alles. Das bedeutet eine hohe Anforderung an mich selbst, sei es durch körperliche Ertüchtigung bis an die Grenzen (viele Sportarten), sei es durch Erlernen aller Blindenhilfsmittel (einschließlich später PC-Elektronik) sowie des schulischen Lernstoffs. Das jeweils gesteckte Ziel musste erreicht werden. Das galt für die Jura-Studien an den Universitäten Freiburg i. Br. sowie in Heidelberg, als auch für das ethnologische, Eingeborenenverwaltungs-Studium, an der Universität Kapstadt (Lower Diploma for Native Administration).

Der zweite Lebensabschnitt begann mit der Eheschließung 1962. Es steht mir seither eine kluge und liebenswerte Frau zur Seite, die es schaffte, neben verschiedenen Berufsausbildungen und Studien, vier Kinder zu erziehen.

1963 begann ich meinen richterlichen Dienst. Für diesen Lebensabschnitt hatte ich mir vorgenommen, einen Teil meiner Energie - wohl den größten - dem Beruf, einen weiteren Teil der Familie und einen dritten Teil ehrenamtlichen Aufgaben zu widmen. So war ich 12 Jahre lang als Presbyter in der evangelischen Kirchengemeinde engagiert und arbeitete 25 Jahre beim Aufbau und Betrieb der Wittener Waldorfschule (1) mit.

Die letzten 2,5 Jahre im richterlichen Dienst am Familiengericht Cottbus, gaben mir tiefe Einblicke in das Spannungsfeld zwischen der Idee der Gerechtigkeit und den Gesetzesregeln, man kann nicht ohne erheblichen Unrechtsgrad einer Gesellschaft, die eine andere Entwicklung hinter sich hat, Gesetze überstülpen. Unsere Begriffe wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verloren bei kritischer Nachfrage an Gewicht und Glanz.

Im März 1995 war es dann soweit: ich wurde pensioniert und der dritte Lebensabschnitt begann. Was nun? Natürlich brauchte ich zunächst eine Zeit der Erholung und Entspannung, denn das letzte Dienstjahr war das Härteste sowohl vom Umfang, wie von der Schwierigkeit der juristischen Probleme her.

Doch Ausruhen und Entspannung konnte es allein nicht sein. Glücklich war ich darüber, dass ich wieder regelmäßig an den Übungsstunden unserer Bläsergruppe teilnehmen konnte. Das Trompete-Blasen hatte ich während meiner Tätigkeit als Presbyter beim Aufbau eines Posaunenchores begonnen.

Verpflichtungen bestanden auch gegenüber dem BKD (Bund der Kriegsblinden Deutschlands), die ich Ende der 80-er Jahre übernommen hatte. Seit 1989 bin ich als Schriftführer im Vorstand des Landesverbands Westfalen und des Kriegsblindenhilfsvereins Westfalen e.V., der das Kursanatorium Hochsauerland, Haus der Kriegsblinden, in Brilon-Gudenhagen betreibt.

Zwar hatten meine Frau und ich uns vorgenommen, die bisher zurückgestellten Reisen in die weite Welt durchzuführen. Doch unerwartete Störungen veränderten die Pläne. Im Herbst 1995 stellten sich ganz heftige Schmerzen ein, denen nur mit schärfsten Mitteln begegnet werden konnte. Eine Untersuchung im März 1996 ergab, dass ein Tumor im Stammhirn auf den Trigeminus-Nerv drückte und die, immer heftiger werdenden, Schmerzen auslösten. Mit der Operation verlor ich das vollständige Gehör des rechten Ohres, die akustische Richtungsbestimmung und auch das Gleichgewichtsorgan ist erheblich gestört. Ein Jahr später wurde eine neue Operation notwendig. Eine Geschwulst, eine Lymphsystemkrebserkrankung als Ursache musste entfernt werden, mit anschließender Bestrahlung. 2 Jahre später setzten heftige Herzbeschwerden ein (Vorhofflimmern). Eine erhebliche Energieeinbuße war die Folge. Meine frühere Schaffenskraft ist dahin. Das zu akzeptieren ist mir schwer gefallen, zumal mein Sehrest inzwischen auf etwa 1% gesunken ist. Ich habe mich damit jetzt abgefunden, mit weniger Kraft und geringerem Tempo mein Wissen und Können der Familie und der Gesellschaft ehrenamtlich zugute kommen zu lassen. Das Trompeten musste ich einstellen, statt dessen habe ich zum Cello gegriffen. Bis zu schönen Tönen ist der Weg weit.

Die Aufgaben im BKD haben sich seit 1989 deutlich erweitert. Sie sind hauptsächlich zu einer Altenbetreuungsarbeit geworden. Es geht darum, den gealterten Kriegsblinden und den Witwen durch das immer undurchdringlich werdende Dickicht der mehr oder weniger guten Gesetze durchzuhelfen. Täglich bin ich Stunden damit beschäftigt. In der Familie gibt es durchaus noch viele Aufgaben, auch wenn die Kinder eigenverantwortlich ihre Wege gehen und eigene Familien gegründet haben. Immer wieder ergeben sich Gelegenheiten, aushelfend einzuspringen, insbesondere im Blick auf die Enkel. Es ist eine große Freude, die Enkel von ganz klein heranwachsen zu sehen, ohne sich an der Schwerarbeit der Erziehung erstverantwortlich teilnehmen zu müssen. Auch heute erlauben wir uns Fahrten, wobei meine Ehefrau die weiteren Reisen noch unternehmen kann. Für mich sind die jährlich eine Woche dauernden Segeltouren auf der Ostsee zu Ende, während meine Frau noch mit großer Begeisterung am Steuer stehen kann.

Ich stamme aus einer religiös geprägten Familie. Meine Eltern gehörten der Bekennenden Kirche an. Durch diese Umgebung angeregt, habe ich mich immer wieder aus verschiedenen Perspektiven mit religiösen Fragen befasst. Meine Frau ist katholisch. Es liegt daher sehr nahe, der Frage nachzugehen, wie die unterschiedlichen Standpunkte, hinsichtlich der apostolischen Sukzession und des allgemeinen Priestertums, biblisch begründet werden. Mit meiner Dissertation war ich mit den theologischen Grundlagen des evangelischen Kirchenrechts befasst und hatte die Stellung der Pfarrer zu ihren geistlichen "Vorgesetzten" zu prüfen. Dabei hatte ich mich mit der Bedeutung der zwei Sakramente (Taufe, Abendmahl) intensiver zu befassen.

Während meiner "aktiven Zeit" in der Waldorfschule habe ich mich bemüht, Rudolf Steiners Theosophie, Anthroposophie zu verstehen. Heute steht für mich die Frage im Vordergrund: wie und wo ist meine Stellung in der Schöpfung Gottes? Was ist nach meinem Tod, wie sieht ein anderes/neues Leben aus? Schließen möchte ich mit einem Ausschnitt aus dem 90. Psalm:

"Unser Leben währet 70 Jahre und wenn es hoch kommt, so sind´s 80 Jahre; und wenn es köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen."

  

  

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