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Uwe Hammer

Uwe Hammer
Jahrgang 1938

     


     

Was ich schreibe, können Sie durchaus veröffentlichen, so es sich lohnt, es jemanden interessiert. Sollten sich Andere angegriffen fühlen, so kann es mir auch Recht sein; denn der Sache wegen streite ich mich gern. Das auch dann, wenn es Anderen zu aufwendig erscheint, sich mehr Gedanken über Dinge zu machen bzw. die Probleme auch einmal aus einer anderen Sicht zu sehen. Neben Blindheit und Sehbehinderung gibt es eben auch noch mehr, was nicht einfach immer unter den Tisch fallen darf, nur, um Interessen Blinder und Sehbehinderter durchzusetzen. Die Anderen sind - zum Glück - die große Mehrheit. Offen gestanden habe ich mir damit schon manchen Ärger geholt, damit kann ich jedoch leben.

Trotzdem, was bringt's? Letztlich wohl nicht unbedingt nur vertane Zeit, da man ja auch aus anderen Meinungen "positive" Momente herausziehen kann, mitunter Meinungen festigen kann, was geht und was geht aus welchen Gründen auch immer nicht.

Ich, Jahrgang 1938, gehöre ja nun, ob man es sich eingesteht oder nicht, zum Kreis der Senioren. Den Grundschulabschluss (8. Klasse) habe ich, obwohl damals, aus heutiger Sicht schon "sehbehindert", als Sehender gemacht. Das Abschlusszeugnis konnte ich noch in Normalschrift lesen. Zwei Tage später war ich blind. Das Abitur habe ich an der Oberschule in Königs Wusterhausen und Diplom an der HU zu Berlin abgelegt und war dann als Hochschullehrer tätig.

Ich bin im Juli 1954 erblindet, nicht mehr zu reparieren. Da ich aber damals leidenschaftlich gezeichnet und gemalt habe (mit Stift, Kohle, Farbe), habe ich mir die optische Erinnerung bis heute erhalten. Das hilft viel bei der Beurteilung von Situationen. Das ist die Basis dafür, dass ich mich auch heute noch mit Sehbehinderten und auch Sehenden streiten kann über Sehprobleme und Farben, über Schriftgrößen und Kontraste; ich weiß, wovon ich rede. Ich weiß natürlich auch einzuschätzen, was Blinden und Sehbehinderten entgeht.

Offen gestanden, habe ich im Kreis von Senioren, sehenden und blinden, oft Probleme, mit ihrem Denken klar zu kommen. Oft hat man den Eindruck, dass sie an der Wirklichkeit vorbei leben, nicht mitten im Leben stehen. Der Gründe gibt es wohl viele: Desinteresse, Gleichgültigkeit, Behinderung, Alter usw.

Ehrenamtlich bin ich im Blindenwesen recht massiv eingebunden - zwei Stadtteilgruppen des ABSV Berlin e.V.. Da stehen natürlich Probleme insbesondere für Senioren an, unterschiedlich je nach der Art der Sehschädigung und des Alters bei deren Eintritt. Jüngere gibt es in meinen Gruppen nicht; Ältere sind schwer hinter dem Ofen vorzubekommen. Man hört oft: Ich bin blind, ich kann das nicht. Ich habe Angst. Bleiben Fragen, was dann zu tun ist.

Obwohl nicht mehr berufstätig, habe ich einen mitunter ausgefüllten Tag. Ich arbeite kulturell im "Club 70" (Kammerchor aus Blinden, Sehbehinderten und Sehenden in Berlin) und im Kulturensemble des DBSV. Zum anderen bin ich für den Stadtteil Pankow von Berlin Vorsitzender des Behindertenbeirates (Probleme Blinder sind da nur ein Teilchen). Nach der Wende war ich neun Jahre als Bezirksverordneter in der Bezirksverordnetenversammlung Weißensee von Berlin (PDS) tätig. Aus Altersgründen habe ich das dann sein lassen. Die Tätigkeit für den Behindertenbeirat knüpft jedoch gerade dort an; denn man hatte in Ausschüssen wie Gesundheit/Soziale und Stadtentwicklung/Grünflächen Neigungen zur Problematik entwickelt, die nicht einfach verkommen sollten. Im Behindertenbeirat - einem breiten Spektrum von Aufgaben aus dem unterschiedlichen Behinderungsarten resultierend - hat man natürlich die Möglichkeit, praxisnah auch die Interessen Blinder und Sehbehinderter zu vertreten. Das kann man nicht unbedingt von den anderen Mitstreitern erwarten, die eben auch praxisnah ihre Probleme gelöst haben wollen. Mitunter hat man aber in unserem Personenkreis einen schweren Stand, zu verdeutlichen, dass "mit Behinderung" eben nicht nur "blind und sehbehindert" ist, sondern auch, dass es Menschen mit Behinderung gibt, die es mitunter noch schwerer haben als unserer Personenkreis, vor Barrieren stehen, wo wir überhaupt keine Probleme sehen. Manche Blinde und Sehbehinderte erfinden allerdings auch dort Barrieren, wo keine sind, zumindest nicht dann, wenn sie sich ihrer Mobilität besinnen, die sie einmal erworben glaubten.

Nähme man nun alles so ernst, wie es genommen werden sollte, so hätte man ja einen Fulltimejob - allerdings unbezahlt. Warum eigentlich? Bleibt die Frage, ob das unbedingt so sein muss, oder haben manche Recht, die dann müde lächeln? Ich will damit nur klar machen, dass ich über zu wenig Arbeit nicht zu klagen brauche, ein weit gefächertes Spektrum an Aufgaben zu verantworten habe. Bei allem: es reicht. Frage: Wie lange noch? Ein wenig privat und Familie muss auch noch sein. Eine wissensgierige 5jährige Enkelin taucht auch oft auf und lockt dem Opa allerhand heraus. Wie teilt man die Zeit nun ein?

Aus oben genanntem resultiert meine differenzierte Stellung zum DVBS und insbesondere zur Seniorenarbeit sowie zu den, für unseren Personenkreis zuständigen, Gremien und ihrer Politik. Auch hier geht mir manches am Kern vorbei, ist mir oft zu blindenspezifisch. Die Themen, die in den Kassetten beackert werden, sprechen mich mitunter kaum oder nur wenig an. Aus meinen rein individuellen Neigungen heraus - naturwissenschaftlich und technisch orientiert - habe ich da oft eine andere Sicht. Auch bin ich von Berufs wegen Ökonom mit mathematisch/statistischer Prägung und war als Lehrer an einer Hochschule tätig.

Das kann ich in meiner täglichen Arbeit nicht abstreifen, auch dann nicht, wenn es gilt, Interessen der Blinden und Sehbehinderten wahrzunehmen. Auch hier muss man ständig nach dem wirklichen Sinn, der technischen Realisierbarkeit und den ökonomischen Voraussetzungen fragen.

Als Beispiele seien hier nur einmal genannt:

a) Rillenplatten zur Orientierung: Sie sind eine sinnvolle Angelegenheit, das aber nur dort, wo sie nicht Witterungsbedingungen ausgesetzt sind und zu schnell verschleißen bzw. zerstört werden. Im offenen Öffentlichen Raum sollte man sie eigentlich ablehnen; denn sie bringen einmal nicht viel, sind bei starkem Belag mit Streugut nicht ausmachbar und werden vom Frost zerfressen, sind also in kurzen Zeitabständen zu ersetzen. Die Öffentliche Hand wird da irgendwann "Stopp" sagen, denn es gibt Gehwege, die einer dringenden Sanierung bedürfen, Gefahrenquellen für alle darstellen, jedoch aus Geldgründen nicht repariert werden können. Bei überdachten Anlagen bestehen diese Probleme nicht; die Rillenplatten sind dann äußerst sinnvoll, wie etwa bei Gleisanlagen auf Bahnsteigen für Fern- und S-, sowie U-Bahnen.

b) Insellösungen im ÖPNV: Dresden! Hier hat man eine in Prag entwickelte Technik übernommen. Der Blinde hat ein Kästchen in der Hand, welches er, wenn eine Bahn kommt, bedient um zu hören, welche Nummer in welche Fahrtrichtung weiterfährt; er signalisiert dem Fahrer, einsteigen zu wollen. Das Gerät ist für 90,00 Euro zu erwerben. Andere Städte, die sich dem Dresdner Beispiel anschließen wollten, sollten die gleichen Geräte verwenden, sodass man es überall benutzen könnte.

c) Blinde fahren Auto! Verständlich ist der Wunsch schon, doch letztlich Unfug: mehrere Stunden starke Verschmutzung der Umwelt. Haben wieder Blinde entschieden!

Das sollte nur einmal demonstrieren, warum ich oft Probleme mit Entscheidungen habe, die von für Blinde und Sehbehinderte zuständigen Gremien getroffen werden. Ich wollte Sie damit nicht langweilen.

Für die Durchsetzung der Interessen unseres Personenkreises stehe ich allerdings trotzdem; wir müssen aber auf dem Teppich bleiben und akzeptieren, dass wir nicht allein auf der Welt sind, ein Stück vom Ganzen sind, ein Stück, das seine speziellen Probleme hat, differenziert Unterstützung braucht, um - zumTeil - ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Die Tätigkeit im Behindertenbeirat stößt mich ständig darauf. Hier muss ich auch für die Interessen von Rollstuhlfahrer, Hörbehinderten, geistig Behinderten, Körperbehinderten, MS- und Rheumakranken sowie psychisch gestörten und anderweit behinderten Menschen einstehen, ein weites Feld!

Da durch diese Tätigkeit enge Beziehungen zu einzelnen Ämtern des Bezirksamtes, der Bezirksverordnetenversammlung und zu Abteilungen des Senats von Berlin sowie zu anderen Verbänden entstanden sind, ist viel zu lesen, bleibt manches auch liegen, wird später gelesen oder rutscht ganz weg. Anderes, wie etwa "Horus“, kann ich daneben kaum noch lesen. Vieles darin ist mir allerdings auch zu wirklichkeitsfremd.

  

  

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