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Dr. Hans Heinz Herpers

Dr. Hans Heinz Herpers
Jahrgang 1935

  


  

Und was machen wir jetzt?

Wenn wir den 60., den vielleicht rundesten aller runden Geburtstage gebührend gefeiert haben, weise geworden, lebenserfahren, mehr oder minder zufrieden zurück und zuversichtlich nach vorn blickend, dann mögen wir uns fragen: Was machen wir jetzt? Geht - vorerst - alles so weiter wie bisher, wird es einen gleichsam schleichenden Übergang aus der Welt der Vor-Sechziger in diejenige der Nach-Sechziger geben? Oder folgt nun etwas ganz Anderes, der Abschied vom Beruf, der (Vor-)Ruhestand?

Nun, für mich wurde der 3. Lebensabschnitt dadurch eingeläutet, dass mir die Übernahme einer neuen Aufgabe angetragen wurde, die, das stand von Anfang an fest, meine berufliche Belastung erheblich steigern würde. Von einer Entlastung, wie sie gemeinhin für arbeitsmüde Demnächst-Rentner beschworen wird, konnte wahrlich keine Rede sein.

Demgegenüber beschloss meine Frau, nur wenig jünger als ich, mit 60, wie man im Volksmund zu sagen pflegt, in Rente zu gehen. Jahrzehntelang hatte sie mich nicht nur privat und persönlich, sondern auch beruflich treu begleitet, unter Hintanstellung ihrer eigenen Vorstellungen, Hoffnungen und Möglichkeiten. Nun meinte sie, sei es genug - eine verständliche und leicht einsehbare Entscheidung. Ich musste mich also, wollte ich im Beruf bleiben, an die Zusammenarbeit mit einer fremden Kraft gewöhnen, von der ich, das war klar, eine Qualifizierung, wie ich sie von meiner Frau gewohnt war, auch nicht annähernd erwarten konnte. Zudem waren Berichte über einschlägige Erfahrungen Anderer nicht gerade dazu angetan, mir insoweit Mut zu machen. Schließlich war es die Zeit der grassierenden Computersucht, des sich epidemieartig ausbreitenden morbus EDV. Handwerker waren bereits in mein Dienstzimmer eingedrungen, hatten eine Wand demoliert, sie mit hässlichem Kabel- und Dosenwerk verunziert und dann behauptet, nun sei mein Zimmer viel besser ausgestattet als zuvor. Ich konnte zwar nicht recht einsehen, wieso eine demolierte und verunzierte Wand gegenüber einer kurz zuvor tapezierten und mit einem hochglänzenden, großformartigen Wandkalender geschmückten Wand eine Verbesserung bedeuten sollte, aber das lag wohl an mir und dem Mangel meiner Einsichtsfähigkeit.

Im Angesicht solch misslicher Entwicklungen stand ich nun - nicht zum ersten Mal in meinem Leben - vor der Frage "Und was mache ich jetzt?" Sollte ich mich, was problemlos möglich gewesen wäre, vorzeitig mit 60 pensionieren lassen und damit all dem Ungemach, das mir da dräute, ein Schnippchen schlagen?

Vor meinem geistigen Auge sah ich meine Frau und mich schon Philemon und Baucis gleich auf unserer Gartenbank sitzen, irdene Becher in den müden Händen gefüllt mit wohltuendem Holunderblütentee, dazu in zierlichen Kästlein, vielleicht sogar nach Tag und Stunde geordnet, köstliches Rentnerkonfekt wie Betablocker, Blutdrucksenker, Cholesterindämpfer und ähnliches Naschwerk; die goldene Abendsonne umglänzt unsere welken Wangen (man beachte den Stabreim!) und unser silbernes Haar (was ich nicht habe und auch nur in sehr begrenztem Umfang bekommen kann); gütig blicken wir auf die (realiter nicht vorhandene) Schar unserer Enkel herab, die gar lieb zu unseren Füßen spielet.

Ich habe mich nicht vorzeitig pensionieren lassen, und es wurde eine Zeit voller Anstrengung, Belastung und Stress. Die 37,5-Stunden-Woche des öffentlichen Dienstes galt für unsereins ohnehin nicht, für mich schon überhaupt nicht. Es wurde aber auch eine Zeit, geprägt von harmonischer, fruchtbarer Zusammenarbeit, von dem erkennbaren Bemühen aller dafür zuständigen Menschen, mir die notwendige Hilfestellung, wenn immer möglich, zu gewähren, und von dem guten Gefühl, nicht mehr, aber auch, Behinderung hin oder her, nicht weniger zu erledigen als meine Kollegen, keine bessere, aber auch, so hoffe ich wenigstens, keine schlechtere Arbeit zu leisten als sie.

Nach meinem 65. Geburtstag überreichte der Chefpräsident mir mit feierlicher Miene und feierlichem Händedruck eine feierliche Urkunde. Sie trägt ein handgemaltes Originalautogramm des Ministers und einen Text, in dem es heißt, der Dank des Vaterlandes sei mir ... oder so ähnlich. Damit war dann sozusagen der erste Unterabschnitt des dritten Lebensabschnitts vorüber.

"Und was mache ich jetzt?" Die Frage hätte sich nun wieder stellen können. Sie tat es aber nicht. Denn meine Frau und ich pflegen, seit wir uns im Studium kennen gelernt haben, ein zugegebenermaßen etwas aufwendiges Hobby, das Herumgondeln in dieser schönen, weiten Welt. Und so waren wir denn gleich nach der Feier des 65. Geburtstages und der Pensionierung für Wochen verschwunden. Wir waren nicht hier und nicht da, sondern ganz woanders. Nicht lange danach meldete sich der Verlag, bei dem ich vor einigen Jahren ein Fachbuch veröffentlicht hatte: Irgendein Vöglein habe ihm gezwitschert, dass ich pensioniert worden sei, und nun meine er, ich solle oder könne doch bitte sehr die nächste Auflage schreiben, mit einer allzu großen beruflichen Belastung könne ich mich, wie früher geschehen, nun ja wohl nicht mehr herausreden. Meine Frau führte mir zwar eindrücklich vor Augen, dass dieses Unterfangen sich überhaupt nicht lohne, und sie hatte selbstverständlich - wie immer oder doch meistens oder doch oft oder doch manchmal - Recht. Wenn ich vom Honorar die eigenen Unkosten und die anteiligen Steuern abziehe und das Verbleibende nur nach dem Zeitaufwand umlege, so erzielt unsere Haushaltshilfe mit ihren zwei Händen einen deutlich höheren Stundensatz als ich mit meinen vielen kleinen, grauen Zellen. Aber was soll´s! Geistige Arbeit wird seit jeher nur selten gebührend gewürdigt! Der Band ist erschienen. Vor einigen Wochen hat der Verlag wieder Laut gegeben, es sei doch vielleicht an der Zeit, nunmehr die weitere Auflage usw. usw. Schau´n wir mal!

Es gibt auch andere, die gelegentlich eine kleine Aufgabe stellen. Kaum hatte ich mich z.B. zum ersten Mal zu einem Seminar der Fachgruppe angemeldet, da bekam ich einen Anruf von einem leibhaftigen Pastor. Ein solcher Anruf sollte ja nun eigentlich generell und grundsätzlich Heil und Segen versprechen. Dieser Pastor aber bat mich, sagen wir, eindringlich, an einem der Seminartage "Gedanken zum Tag" vorzutragen. "Gedanken zum Tag" - das klang mir nach Morgenandacht oder erbauender Meditation. Ich beteuerte, dass ich, wenngleich Mitautor eines Predigtbuches, keinesfalls der Richtige sei und von Theologie (wie, so scheint mir, mancher Prediger) nichts verstünde. Es half aber nichts. Der Pastor beharrte auf seinem Anliegen. Und so habe ich denn eher Gedanken zur Nacht als zum Tag vorgetragen, zu Traum und Träumen. Die Folge hiervon? Im darauffolgenden Jahr durfte ich ein Abendreferat zu diesem Thema halten. Damit hat es jetzt aber sein Bewenden. Ich will ja schließlich nicht zum Vorträumer oder gar Traumtänzer der Fachgruppe Ruhesanft, Pardon, Ruhestand werden!

In diesen Tagen wird mein Ruhestand 4 Jahre alt, er ist also gleichsam noch ein Kind, das seine Entwicklung noch vor sich hat. Und dennoch beobachte ich mit Staunen, wie rasch sich doch eine Art Pensionärsfeeling einnisten kann. Als ich pensioniert wurde, geschah das nicht, weil ich darum gebeten hätte, sondern weil das Gesetz es befahl. Ich selbst hätte keine Veranlassung gesehen, meinen Beruf an den Nagel zu hängen. Wenn ich hingegen heute in den Dienstzimmern meiner Kollegen die vielen Akten sehe, die in ihren staubgrauen Aktendeckeln aussehen, als trügen sie mottenzerfressene Mäntel aus abgeschabten Mäusefellchen, und von denen die meisten überdies unförmig dick sind, wenn ich vor solch einem flimmernden Bildschirm stehe, auf dem kleine Buchstäbelchen, die ich nicht lesen kann, so tun, als vermöchten sie alle Probleme dieser Welt zu lösen, obwohl sie doch in Wahrheit nichts weiter sind denn ein technisches Hilfsmittel, wenn ich das alles betrachte, dann - Nein, danke, das muss nicht sein, nicht mehr.

Es ist schön, keinen Termin und keine Frist mehr einhalten zu müssen. Es ist schön, ohne Rücksichtnahme auf irgendeine Fremdbestimmung - ausgenommen derjenigen meiner Frau, versteht sich - tun und lassen zu können, was ich will und wann ich es will. Es ist schön, an einem trüben, verregneten Morgen noch etwas liegen zu bleiben und erst zu frühstücken, wenn andere Leute schon an ihren Schreibtischen sitzen oder sonstwie ihrer Arbeit nachgehen. Und noch schöner ist es, an einem trüben, verregneten Morgen noch etwas liegen zu bleiben, sich schlafend zu stellen und darauf zu hoffen, dass die liebe Ehefrau zuerst aufstehen und das Frühstück bereiten werde.

Natürlich, die unvermeidlichen Zipperlein, sie lassen nicht auf sich warten. Der Eine hat dieses, der Andere jenes, der Dritte hat dieses und jenes. Aber sie gehören dazu wie die weißen Wolken zum blauen Himmel eines Sommertages. Und ebenso natürlich, nichts wird bleiben, wie es ist. Der dritte Lebensabschnitt wird vorübergehen genauso, wie der erste Lebensabschnitt und der zweite Lebensabschnitt auch vorübergegangen sind. Wie heißt es doch in dem bekannten Lied: Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei!

Wir, meine Frau und ich, sind ungefähr ein Drittel des Jahres unterwegs, mal hier, mal dort, mal sonst wo. Früher oder später aber, das ist klar, wird der Tag kommen, da wir der Anstrengung eines Langstreckenfluges oder dem Geschaukel eines Schiffes, extremen Temperaturen oder ungewohnten Klimaverhältnissen, fremden Essgewohnheiten oder großen Zeitunterschieden nicht mehr gewachsen sind, die Andersartigkeit anderer Menschen nicht mehr erfassen und verarbeiten können. Und was machen wir dann? Nun, vielleicht werden wir uns dann in Bad Aibling (wo immer das liegen mag) auf der Wasserrutsche vergnügen, im seniorenfreundlichen heiltherapeutischen Thermalbecken, vielleicht unter Anleitung und Aufsicht einer zur Altenpflegerin umgeschulten arbeitslosen Sozialpädagogin. Und wenn uns die Rutsche zu rutschig wird? Was machen wir dann? Warten wir es ab, wir werden es erleben. Alles hat ein Ende...

    

    

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