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Ulrich Lübeck

Ulrich Lübeck
Jahrgang 1935

  


  

Der dritte Lebensabschnitt

Ich durchlief, nach knapp vierjähriger bombenkriegsbedingter Evakuierung in den Ostharz, Kindheit und Jugend in Hamburg in intakter Familie, mit unversehrt kriegsgefangenenentlassenem Vater, meiner Mutter und meiner jüngeren Schwester. Ich legte im Jahr 1954 in Hamburg am Traditionsgymnasium ein humanistisches Abitur ab, das erste juristische Staatsexamen 1960, das 2. Ende 1964, beide in Hamburg.

Ich bin von Geburt an auf beiden Augen erblich total farbenblind. Meine Sehschärfe betrug 2/35, nun noch 4%, verbunden damit Kurzsichtigkeit bei minus 12, und die Lichtempfindlichkeit war und ist enorm - neben dem Fehlen jeden Farbsehvermögens. Damit war und bin ich ein relativer Außenseiter, aber sehr angepasst. Ballspielen war stets unmöglich, der Erwerb irgendeiner Fahrerlaubnis dito. Einem Menschen in die Augen sehen kann ich nicht, in einen PKW hinein ebenfalls nicht.

Die Erziehung seitens meiner Eltern war recht herbe, neudeutsch bedingt unsensibel. Aber ich bin ihnen dankbar. Entsprechend augenärztlichem Rat, von mir viel zu verlangen, mich nicht zu schonen, hielten sie sich daran. Nur gutes Sehen konnten sie nicht von mir verlangen, taten es auch nicht. Zum 2. Staatsexamen suchte und fand ich eine Ehepartnerin ähnlicher Grundeinstellung. So bin ich nie verzärtelt worden, alles in allem gut gefahren.

Nach drei kümmerlichen Anfängerstellungen unmittelbar nach Ausbildungsabschluss (1 ½ Jahre nur) fand ich mein wirtschaftliches Auskommen bei einem Hamburger Versicherungskonzern, als juristischer Sachbearbeiter alsbald mit Handlungsvollmacht, in einer mit drei Volljuristen besetzten Rechtsabteilung. An Wochenenden oder am Abend betrieb ich zusammen mit meiner Frau, einer Kollegin, eine kleine Anwaltspraxis, ohne Praxisschild im Wesentlichen mandatiert aus dem Freundes- und Familienumfeld. 3 Kinder wuchsen zu Hause heran, ohne Kindergarten, Kita oder dergleichen und haben ihre akademischen Ausbildungen im vorigen Jahrhundert beendet.

Der Übernahme des Ehrenamtes des Vertrauensmannes sowie alsbald des Gesamtvertrauensmannes konnte ich mich mit Anstand nicht entziehen und genoss den mir so zugefallenen Sonderkündigungsschutz nach dem Schwerbehindertengesetz 18 Jahre lang. Nach 28 Jahren volljuristischer Arbeit bei der Hamburger Versicherung schied ich mit 60 Jahren in den sogenannten Vorruhestand aus, den damals - 1995 - nahezu alle länger beschäftigten Versicherungsangestellten bei maßvollen Versorgungsabschlägen wahrnehmen durften.

Mit meinem nunmehr über 12 ½ Jahre umfassenden effektiven Ruhestand - seit 42 Jahren mit der gleichen, extrem gesunden Frau verheiratet - bin ich überaus zufrieden. Ich habe nie längere Zeit allein leben müssen und würde das auch für die Zukunft zu vermeiden wissen.

Meine Frau hatte zwar keine Erfahrung mit eingeschränkt Sehenden, chronisch Kranken überhaupt. Sie hat überdies, da ungewöhnlich gesund, bis heute ein schwach ausgeprägtes Verhältnis zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Ärzten überhaupt. Sie hat aber nach und nach im großen und ganzen mein Handikap begriffen. Freilich missbilligt sie, dass ich derzeit eine Anerkennung als Blinder betreibe, genauer: die Aussichten eines Anerkennungsverfahrens - auf eigene Kosten, versteht sich - augenärztlich prüfen lasse.

Der Familie also verdanke ich meine Lebensfreude, ursprünglich den Eltern, danach meiner Frau. Die 3 Kinder sind seit 15 Jahren außer Haus und leben ihr eigenes Leben. Daneben habe ich stets Hobbies gehabt. Aus der Kindheit bin ich dem Sammeln von Briefmarken treu geblieben, nun weniger. Operation sowie Nachoperation des grauen Stars vor einigen Jahren schränken mein Sehvermögen im nächsten Nahbereich ein, so dass ich mich nun ausnahmslos stets einer stark vergrößernden Lupe bedienen muss. Das dämpft die Freude empfindlich. Auf Hilfe wegen der Farbe, öfter auch der Zähnung der Briefmarke war ich stets angewiesen. Das war ich gewohnt.

Meine Frau setzte mir schon während unserer Verlobung den Floh ins Ohr, mich mit der elektrischen Modelleisenbahn zu beschäftigen, im wesentlichen mit MÄRKLIN im Maßstab 1:87. Das war und ist nicht nur kostspielig, sondern trainiert, so gut es geht, Geschick beim Entwirren von Kabelknäueln, mehr noch beim Verschrauben der Kabel mittels winziger Schrauben an Steckern und Muffen und vielem mehr, bei damals noch vorhandener Sehschärfe von 2/35.

Hauptbeschäftigung ist allerdings unverändert das tägliche Lesen anspruchsvoller Tageszeitung und etwas Literatur, neben dem Abhören guter Sprechcassetten, nicht zuletzt der Norddeutschen Blindenhörbücherei in Hamburg. Alles nun nach eigenem Tempo.

Ich reise nicht ganz wenig, durchaus auch allein für mich oder in Reisegesellschaft. Dabei kommt mir ein weit überdurchschnittlich guter Orientierungssinn, solange ich zurückdenken kann, zu Passe, im klein- wie im großräumigen Bereich. Ein PKW steht nicht zur Verfügung. Ich bzw. wir benutzen ausschließlich den öffentlichen Personennah- und -fernverkehr. Sobald ein Reisen mit 3 Kindern möglich war, habe ich das selbst organisiert, an die Ostsee zunächst, später bis in die deutschsprachigen Alpen.

Seit 22 Jahren schließen wir uns hin und wieder Busreisegruppen an. Ich sitze, wie ehedem in der Schule, stets nun möglichst in der vordersten Reihe. So fällt wenigstens weniger auf, dass ich die meisten Mitreisenden nicht beim Namen nennen kann.

Mit dem Ende meiner Berufsarbeit, dem Broterwerb, erwarben wir eine moderne Wohnung, im Talkessel Bad Reichenhalls und leben dort, unter Beibehaltung unserer norddeutschen Bleibe. Wir pendeln mehrfach im Jahr und werden das voraussichtlich noch viele Jahre so beibehalten.

  

  

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