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Gerhard Reiter

Gerhard Reiter
Jahrgang 1929

  


  

Wer rastet, der rostet

Einige Wochen vor Beendigung meines Dienstes sagte meine Frau zu mir: "Ich freue mich schon auf Deinen Ruhestand!". Meine Antwort: "Ich mich auch!"

Damals ahnte ich noch nicht, welche hintergründigen Folgen dieser Dialog haben würde. Am 28.02.1989, meinem letzten pastoralen Arbeitstag, ging unser Gespräch weiter. "Ab morgen bin ich nach 35 Jahren im Ruhestand", sagte ich meiner Frau. "Da könntest Du mir eigentlich mein Frühstück ans Bett bringen!". Meine Frau zögerte nicht lange mit ihrer Antwort: "Oh nein! Ich habe mich auf Deinen Ruhestand deshalb gefreut, weil es für mich, als Hausfrau eigentlich nie einen Ruhestand geben wird und weil ich jetzt durch Deine freie Zeit etwas Entlastung erwarte. Wie wäre es also, wenn Du morgen unser Frühstück vorbereiten würdest, was ja bisher zu meinen Pflichten gehörte? Wer rastet, der rostet!"

So fing es also an. Ich akzeptierte anfänglich meinen neuen "Arbeitgeber" mit etwas Knurren und übernahm am kommenden Morgen die Vorbereitung zum Frühstück. Sehr schnell kamen zu dieser ersten Ruhestandsarbeit weitere hausfrauliche Verrichtungen auf mich zu. Hier eine kleine Auflistung meiner Hilfsdienste in den letzten 16 Jahren: Einkaufen von Lebensmitteln, gelegentliches Kochen, Ein- und Ausräumen des Geschirrspülers, Betten machen und Betten beziehen, Schuhe putzen, kleine Textilarbeiten, wie etwa das Annähen von Knöpfen usw. So wurde ich in den letzten Jahren zu einem perfekten "Hausmann", der sich nun auch zu helfen weiß, wenn die Ehefrau - sei es durch Krankheit oder die Reise zu einer Freundin - für einige Zeit abwesend ist.

Ich halte dieses Erlernen von alltäglichen Fertigkeiten für die vordringlichste Betätigung eines Ruheständlers, zumal sich ein solches "Hand-in-Hand-Arbeiten" als sehr positiv auswirkt. Während der Berufsausübung war ich weitgehend mit meinen Pflichten - teilweise außer Haus - beschäftigt und wir hatten täglich - wenn überhaupt - nur wenige Stunden Kontakt. Nun aber änderte sich unser Zeitrhythmus total. Nach der aufgeteilten Hausarbeit blieben uns täglich viele Stunden freier Zeit, die wir gemeinsam zum Lesen, zum gegenseitigen Austausch und zum Wandern einsetzen konnten. Auch unsere Reisen, die sich während meines Dienstes immer nach den vorgegebenen Urlaubstagen richten mussten, dehnten wir kräftig aus.

Fazit: Ein völlig neuer Lebensabschnitt hatte begonnen und meine Frau und ich sind uns heute noch darin einig: alt werden kann ein Geschenk sein, wenn man es gemeinsam bewältigt. Dabei kommen keineswegs auch unsere getrennten Interessen zu kurz. Was immer möglich ist, tun wir gemeinsam; aber wir geben uns auch genügend Freiraum für unsere privaten Hobbies.

Bei meiner Frau ist es das Schmökern in Büchern, die mich weniger interessieren. Bei mir liegt der Schwerpunkt in der Ausweitung meiner technischen Fähigkeiten, wobei ich erklären muss, dass ich vor meiner Erblindung eine Elektro- und Feinmechanikerlehre hatte. In unserem Haus habe ich mir schon zu meiner Berufszeit einen umfangreichen Werkraum eingerichtet. Da stehen eine Spindeldrehbank, zwei Kreissägen, ein elektrischer Schleifstein und ein Bandschleifer, sowie viele andere Geräte zur Holz- und Metallbearbeitung; außerdem natürlich ein Werktisch, eine Hobelbank, Schraubstöcke, Amboss, sowie viele Kleinwerkzeuge und Material. Dort fertige ich Ersatzteile für schadhafte Haushaltsgeräte und für antike Uhren an. Gerade die Uhrmacherei fasziniert mich seit über 50 Jahren. Während meines Berufes konnte ich nur wenig Zeit diesem Hobby gönnen; jetzt aber im Ruhestand arbeite ich oft stundenlang in meiner Kellerwerkstatt. Die "gefährlichen" Maschinen wie Drehbank und Kreissäge habe ich mir blindengemäß eingerichtet, indem ich sie per Fußschalter starten kann. Zur Information: kleine Verletzungen sind nicht zu vermeiden; aber ich habe noch alle zehn Finger! Meine Frau und ich hoffen, dass wir noch lange miteinander ohne "Rostansatz" die uns von Gott geschenkte Zeit sinnvoll bewältigen können.

Anmerkung: Verschwiegen hat mein Freund, dass er zusammen mit jemand Anderem seit Jahrzehnten die Hörzeitschrift "Kompass" für blinde und sehbehinderte junge Menschen redigiert, die nicht nur von diesen, sondern auch von Senioren alle zwei Monate mit großem Interesse erwartet wird; ferner, dass er seit Jahren bei den Seminaren der Ruheständler die "Einstimmung in den Tag" gestaltet.

  

  

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