Inhalt Rechts

Rechte optische Spalte

Sprachauswahl

Dritte Spalte

Inhalt Mitte

Breadcrump Menü

Sie sind hier:

Hauptinhalt

.

Dr. Ingrid Roßbacher

Dr. Ingrid Roßbacher
Jahrgang 1927

  


  

Seit dem ersten Bericht ist eine Menge Zeit verstrichen. Ich erinnere mich, dass ich diesen, um ungestört zu sein, um 02:00 Uhr morgens in die Maschine tippte. Da hat sich seither doch einiges geändert.

Als Voraussetzung für Wohlbefinden und Fitness, tue ich jetzt mehr dafür: So mache ich alle 14 Tage bei einem Tanzkurs mit. Das lockert auf, und es gibt dabei immer etwas zu lachen. Dass wir Frauen in der Überzahl sind, stört uns nicht.

Auch gehen mein Mann und ich gern bei den monatlichen Ausflügen der Blinden-Wandergruppe mit, jeweils mit Einkehr in einem guten Landgasthaus.

So oft es das Wetter erlaubt und mein Pilot und ich Zeit haben, sind wir mit dem Tandem unterwegs, was ihn ebenso begeistert wie mich. Da absolvieren wir meist beachtliche Strecken und, da die Landschaft hier nicht anders zu haben ist, auch Steigungen. Zurzeit sind wir dabei, eine für Graz und Umgebung ausgeschriebene "Tandemfreizeit mit Kultur" zu konzipieren.

Von gewöhnlich Mai bis September, genieße ich und gelegentlich auch mein Mann das Privileg eines eigenen Garten-Schwimmbades in vollen Zügen.

Und während des ganzen Jahres, unabhängig von Wetter und Temperatur, wartet auf mich alles, was mit der Erhaltung und Pflege eines Eigenheimes zusammenhängt, angefangen bei der Absprache mit den benötigten Handwerkern. Das Weitere aber ordne ich bewusst unter "Gymnastik" ein. Denn wenn man blind ist, muss man hinaufsteigen oder sich niederbücken oder in die Knie gehen, um zu erreichen, was gesäubert werden soll. Die modernen Gerätschaften, mit denen der sehende Mensch mühelos und zeitsparender arbeitet, sind für uns Blinde ungeeignet. Dafür geht der Sehende - nein, er fährt natürlich - ins Fitnessstudio.

Unsere fünf Kinder, schon seit ewigen Zeiten aus dem Haus, haben ihre jungen Jahre überstanden und sind zu reifen Menschen geworden. Wir können immer nur dankbar sein, dass aus allen etwas Rechtes geworden ist und sie, eine ihnen gemäße, Arbeit haben.

Ein Sonderfall ist gewiss unsere Älteste und einzige Tochter Maria. Sie hat mit 30 ihre sonderpädagogische Tätigkeit an den Nagel gehängt und ist mit ihrem Mann nach Costa Rica ausgewandert. Dort betrieben sie zunächst biologische Landwirtschaft, und nach dem Scheitern der Ehe wandte sie sich der Erwachsenenbildung und insbesondere Frauenprojekten zu und adoptierte zwei Kinder. Nach 18 Jahren Costa Rica ist sie nun mit den Kindern in New-Zealand und wieder im Schuldienst. Die Kinder haben sich gut eingelebt. Sie sprechen und schreiben ja Englisch ebenso wie Spanisch und Deutsch. Und übrigens kommt die Hälfte ihrer jetzigen Mitschüler aus Deutschland.

Der Älteste von den Herren Buben hat sich am Bundeskanzler-Amt offenbar gut eingeführt und ist nun schon zum zweiten Mal zur Vor-, Mit- und Nachbereitung des österreichischen Ratsvorsitzes in Brüssel. Aber auch sonst sieht man ihn höchst selten. Er ist Junggeselle und liebt seine Freiheit.

Franz, der Nächstjüngere, hat den Meisterabschluss in Büromaschinen-Mechanik, ist Computerfachmann, mit eigener Firma und arbeitet im Verkaufs-Management auch noch in einem anderen Unternehmen mit. Er ist meist in Wien oder im Ausland. Im Rahmen des Möglichen ist er trotzdem unser zuverlässigster Nothelfer. Oder er beauftragt seine Tochter Agnes, die recht geschickt ist und gern herkommt. Und ihre Mutter besorgt öfter kleinere Näharbeiten für uns.

Sohn Martin, Buchbindermeister mit Fachhochschulabschluss für Restaurierung von Buch und Papier, arbeitet mit einiger ihm übertragenen Verantwortung an der Kunstbibliothek in Berlin und ist mit seiner Familie zum stolzen Eigentümer eines halben Doppelhäuschens samt Garten geworden.

Christof, der Jüngste, seines Zeichens Diplom-Psychologe, arbeitet als Betreuer von Problemfällen und strebt eine eigene Praxis an. Auch er macht sich zur Zeit ziemlich rar, denn er hat eine Freundin.

Enkelkinder haben wir bisher erst vier, aber es besteht ja noch Hoffnung auf mehr.

Besagte Agnes, 20, studiert Umweltsystem-Wissenschaften und ist ein überaus nettes Mädchen. Sie absolvierte gerade zu der Zeit, als der Irakkrieg ausbrach, ein Schuljahr in den USA und war entsetzt über den dortigen Freudentaumel darüber.

Dann die beiden Lateinamerikaner, der 10-jährige Mauricio und die 12-jährige Jeca, sowie die einjährige Friederike in Berlin. Sie wurde in der vorjährigen Osternacht, in der Kirche der Deutschen Bischofskonferenz, getauft, und ich durfte bei diesem Auferstehungs-Gottesdienst den Tauftext aus dem Römerbrief, Kapitel 6 vortragen. Danach haben wir ein wunderschönes Familienfest gefeiert.

Mit Maria, als einziger Ausnahme, waren alle Roßbachers dabei und aus Münster auch die anderen Eltern und sämtliche vier Geschwister von Schwiegertochter Julia, lauter ganz nette Leute. Im Sommer kam dann die junge Familie zu Besuch, gleichzeitig mit Maria. Das war wieder ein Anlass zu einem frohen Familienfest.

Neu, im Vergleich zum ersten Bericht, ist auch, dass ich jetzt, wenn auch erst anfängerhaft, mit dem Computer umgehen kann. Das ist mir nicht leicht gefallen, aber ich möchte trotzdem noch dazulernen. Nicht neu sind hingegen meine Aktivitäten in der Pfarrgemeinde: Leitung eines Bibel-Gesprächskreises, Mitwirkung bei der Gottesdienstgestaltung, Trauerbegleitung, Beschickung des Weihnachts- und Osterbasars und der monatlichen Seniorenrunde, mit allerlei Selbstgebackenem. Auch mache ich bei der Lektüre alttestamentlicher Texte in ihrer hebräischen Ursprache mit.

Und überhaupt nichts Neues ist, dass ich eigentlich von der Juristerei her komme: Ein Jahr Gerichts- und vier Jahre Anwaltspraxis.

Mit der wachsenden Familie war Schluss damit, worüber ich aber nie traurig gewesen bin. Als die Kinder größer wurden, ging ich zur Theologie über, der schon immer mein besonderes Interesse galt und weiterhin gilt.

Wenn ich nun gefragt werde, wann ich das alles unterbringe, ganz einfach: Ich stehe um 5 Uhr 15 auf und gehe gegen 23 Uhr schlafen und immer ein wenig Stress dabei. Verrückt, nicht wahr? Aber eine Stunde Siesta geht sich meistens auch noch aus. Jemand wollte auch noch wissen, wann und wo mein Mann und ich uns kennenlernten. Das war im Jahr 1942 in Marburg.

  

  

Dieser Artikel wurde bereits 8296 mal angesehen.



.