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Gemeinsame Aufgaben und Möglichkeiten säkularer und christlicher Sehgeschädigtenorganisationen in einer sich wandelnden Welt - 4.

4.
RIBGH a. D. Dr. Hans-Eugen Schulze
Beauftragter für Seniorenangelegenheiten des Deutschen Vereins der Blinden und Sehbehinderten und Beauftragter für Blinden- und Sehbehindertendienst der Evangelischen Landeskirche in Baden
Einführung

    

Im Jahre 1953 ist in Baden der Evangelische Blinden- und Sehbehindertendienst Deutschland als neuer eingetragener Verein gegründet worden. Der Evangelische Blinden- und Sehbehindertendienst Baden e. V. hat dies zum Anlass genommen, zum 13.6.2003 zu der hier dokumentierten Tagung einzuladen. Er hat sich dabei von folgenden Erwägungen leiten lassen:

    

Schon auf Bundesebene gibt es nicht eine einzige große Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfeorganisation, sondern - von kleineren Gruppen wie sehgeschädigten Computerbenutzern, Schachspielern, Esperantisten, Sportlern und Betroffenen bestimmter Augenkrankheiten abgesehen - deren sieben: den Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband, den Bund der Kriegsblinden Deutschland, den Deutschen Verein der Blinden und Sehbehinderten, Pro Retina Deutschland, den Bund zur Förderung Sehbehinderter, den Evangelischen Blinden- und Sehbehindertendienst Deutschland und das Deutsche Katholische Blindenwerk. Manche dieser sieben verfolgen fest umrissene Ziele, wie etwa religiöse Angebote, die Förderung Sehgeschädigter in akademischen und verwandten Berufen und in entsprechenden Ausbildungsgängen oder die Erforschung und Heilung bestimmter Augenkrankheiten. In vielfacher Hinsicht liegen ihre Interessen aber völlig gleich. Würden sie sie in widersprüchlicher Weise vertreten, so könnte das der Sache höchst abträglich sein. Ein anschauliches Beispiel dafür war zu Anfang der 90er Jahre - wenn auch auf einer höheren Ebene - die Vielfalt der Vorschläge zu einer Ergänzung von Art. 3 Abs. 3 des Grundgesetzes, auf die die Politik zunächst nur mit dem Hinweis zu reagieren brauchte, die Behindertengruppen sollten sich doch erst einmal selbst auf einen gemeinsamen Vorschlag einigen. Erst der von der SPD Gemachte war dann so griffig, dass nach meiner Kenntnis niemand mehr einen Gegenvorschlag machte. Ein weiteres Beispiel bildeten die dann folgenden Vorschläge verschiedener Gruppierungen zu einem Behindertengleichstellungsgesetz, die erst von dem Forum Behinderter Juristinnen und Juristen in eine schließlich von allen akzeptierte Form gebracht wurden.

    

Wie auf dem allgemeinen Behindertensektor, so sind wir auch als Blinde und Sehbehinderte auf eine Zusammenarbeit angewiesen, in die jeder all’ seine Möglichkeiten, seinen Sachverstand, sein Ansehen und seine Verbindungen einbringt, die uns helfen könnten. Diese Zusammenarbeit wird immer nötiger: Neue Nachteilsausgleiche für Sehgeschädigte zu erstreiten - wie etwa eine bundesweite Sehbehindertenhilfe - erscheint fast ausgeschlossen. Wenn wir nicht alle unsere Kräfte und Bemühungen koordinieren, ist sogar mit einem Abbau vieler im Laufe der Zeit von uns erkämpfter sozialer Rechte und Hilfen zu rechnen. Zu einer engen Zusammenarbeit nötigt uns außerdem, dass die Bedürfnisse Blinder und Sehbehinderter immer vielfältiger und unterschiedlicher werden. Früher gab es - jedenfalls nach unserer damaligen Einschätzung - nur die Früherblindeten, die Späterblindeten und vielleicht noch die Altersblinden, deren Bedürfnisse wir glaubten unterscheiden zu müssen. Heute dagegen nehmen wir immer stärker Menschen wahr, die mit zusätzlichen Behinderungen geboren werden, während der Schulzeit, nach dem Eintritt ins Berufsleben, in dessen Mitte oder kurz vor seinem Ende, an der Schwelle zum Ruhestand oder erst mit achtzig und später einen mehr oder weniger starken Sehverlust über Mobilitätseinschränkung oder Leseschwierigkeiten hinweg bis zur Erblindung erleiden. Die Fragen, die die einzelnen Gruppen an uns stellen, werden noch immer unterschiedlicher werden. Kaum vorbereitet sind wir bisher darauf, dass in den letzten Jahrzehnten die Zahl derer, die erst im Alter einen Sehverlust erleiden, lawinenartig zugenommen hat und noch weiter steigen wird - ganz zu schweigen von den Menschen, die aus anderen Kulturen kommen und in Zukunft auch bei uns mehr und mehr erblinden werden. Alles das zwingt uns zu einer immer intensiveren und kreativeren Zusammenarbeit.

    

Auf Landesebene ist die bundesweite Aufgliederung in verschiedene Sehgeschädigtenorganisationen noch stärker. In Baden-Württemberg etwa gibt es zwar nur ein einziges, diözesanübergreifendes katholisches Blinden- und Sehbehindertenwerk, aber wegen der Trennung der Landeskirchen auch zwei evangelische Blinden- und Sehbehindertendienste und sogar drei allgemeine Selbsthilfeorganisationen. Letztere haben zwar vor Jahren einen Dachverband gegründet, der sich aber anerkanntermaßen erst noch profilieren muss, um in der Öffentlichkeit wahrgenommen und respektiert zu werden. In den einzelnen Bundesländern ist die Zusammenarbeit jedoch gleichfalls außerordentlich wichtig.

    

Wie sie gestaltet werden und welchen Erfolg sie haben kann, möchte ich aus der Sicht des EBS/Baden an einigen Beispielen veranschaulichen.

    

Christliche Sehgeschädigtenorganisationen sehen ihren Auftrag vielfach nur darin, Sehgeschädigten all' diejenigen Dienste anzubieten, die Sehenden in ihren Pfarrgemeinden, Kirchenbezirken oder Akademien ohne weiteres zugänglich sind, und außerdem mit ihnen Antworten auf religiöse Fragen zu suchen, die sich speziell aus ihrem Sehverlust ergeben. Der EBS/Baden möchte darüber hinaus Sehgeschädigten auch zeigen, wie sie mit ihrem Sehverlust in praktischer Hinsicht besser zurechtkommen, weil die meisten von Ihnen den Weg in die Selbsthilfeorganisation nicht finden, und möchte außerdem ihre soziale Lage verbessern. Da wir diese Aufgabe mit anderen besser erfüllen können, als allein, suchen wir die Zusammenarbeit mit ihnen, und weil wir über die Kirchen die Möglichkeit haben, auf die Parlamente einzuwirken, mischen wir uns auch in die Sozialpolitik des Landes und, zusammen mit anderen, manchmal sogar des Bundes ein.

    

Alsbald nach seiner Gründung im Jahre 1992 war der Verein der Landesarbeitsgemeinschaft „Hilfe für Behinderte“ beigetreten. Weil auch die drei Selbsthilfeorganisationen ihr angehören, entstand damit zugleich eine Plattform, auf der diese vier, die sich in der Landesarbeitsgemeinschaft und deren Arbeitskreisen gegenseitig vertreten, stets miteinander abstimmen konnten. Der EBS bemüht sich außerdem, zusammen mit den anderen Sehgeschädigtenorganisationen einen landesweiten Arbeitskreis "Seniorenangelegenheiten" zu bilden, um Angebote für sehgeschädigte Senioren auf Landesebene zu intensivieren und möglichst ortsnah zu gestalten.

    

Die Mitgliedschaft in der LAGH gibt dem EBS/Baden und den Blindenselbsthilfeorganisationen die Möglichkeit, an den inzwischen üblich gewordenen Tagen der Behinderten im Parlament - in gegenseitiger Abstimmung und Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden personellen Ressourcen - teilzunehmen.

    

Der Landesverband BW des Verbandes der Blinden- und Sehbehindertenpädagogen unterhält einen AK „Sehgeschädigtenbildung“. In ihm arbeiten alle Sehgeschädigtenorganisationen, in diesem Falle also auch der EBS/Württemberg und das Katholische Blinden- und Sehbehindertenwerk/BW, mit. Von Fall zu Fall treffen sie sich vor den Sitzungen des Arbeitskreises, um gemeinsame Anliegen zu besprechen. Aus einem dieser Gespräche war im Jahre 1994 das gemeinsame Angebot eines Treffens für sehgeschädigte Arbeitslose in Bad Liebenzell hervorgegangen, in dem nicht nur gefragt wurde, wie sich neue Arbeit finden lasse, sondern auch, wie man die Zeit seiner Arbeitslosigkeit gerade als Sehgeschädigter sinnvoll füllen könne. Danach hat der EBS/Württemberg es sich zur Aufgabe gemacht, arbeitslose Sehgeschädigte aus seinem Vereinsgebiet regelmäßig in seine Geschäftsstelle einzuladen.

    

Da die Beziehungen zwischen den sechs Vereinen und dem Beauftragen des Blinden- und Sehbehindertendienstes der Evangelischen Landeskirche in Baden eingespielt waren, konnten wir im Oktober 1996, als wir aus den Printmedien erfuhren, dass die Landesblindenhilfe abgeschafft werden sollte, buchstäblich von einem Tag auf den anderen mit einem gemeinsamen Brief an den Ministerpräsidenten reagieren und in den nächsten beiden Monaten, unter Einsatz aller unserer Möglichkeiten und Verbindungen, mit verteilten Rollen vor Ausschüssen und Fraktionen des Landtages und im Staatsministerium, dem Ministerium des Ministerpräsidenten unseren Standpunkt darlegen. Einzelheiten ergeben sich aus meinem Bericht „Lobbying - dargestellt an den Bemühungen, die Landesblindenhilfe in BW aufrecht zu erhalten“ in der ersten Horus-Ausgabe des Jahrgangs 1997. Wir haben zwar den vollen Erhalt nicht erreicht, aber immerhin die Abschaffung verhindert und das stets als gemeinsamen Erfolg angesehen.

    

Seit November vorigen Jahres mussten wir uns erneut um die Erhaltung der Landesblindenhilfe bemühen. Dazu hat es mehrere Treffen und Briefe, sowie zahlreiche Telefonate und persönliche Gespräche, insbesondere mit Landtagsabgeordneten gegeben. Der EBS hat außerdem die beiden evangelischen Landeskirchen und den Präsidenten des VDK mobilisiert, der in Baden-Württemberg wohnt und sich als früherer Minister in der Landespolitik besonders gut auskennt. Wie die Dinge gegenwärtig liegen, dürfen wir nun hoffen einstweilen Ruhe zu haben.

    

Gemeinsam haben wir im Sommer vorigen Jahres im Landesteil Baden zu einer Pressekonferenz eingeladen, um öffentlich die Stimmzettelschablone für Blinde vorzustellen. In diesem Falle hat uns das Pressereferat des evangelischen Oberkirchenrats Baden Verbindungen zu den Massenmedien des Landes zur Verfügung gestellt, die wir selbst nicht gehabt hätten.

    

Mit Mitarbeitern der staatlichen Blindenschule Ilvesheim führt der EBS/Baden alle zwei Jahre ein Wochenendtreffen für Blinde mit zusätzlichen Behinderungen und ihre Angehörigen durch.

    

Durch ein blindes Ehepaar bietet der EBS außerdem für Schüler aus der Blindenschule Ilvesheim jeden Sommer ein "integriertes Wochenende" auf einem Reiterhof an. Durch ein anderes Mitglied ist er außerdem in einer Elterngruppe des Südbadischen Blinden- und Sehbehindertenvereins und in der Sehbehindertenschule Waldkirch tätig.

    

Als vor einigen Jahren in BW Gebühren für Langzeitstudierende eingeführt wurden und davon zunächst auch diejenigen betroffen sein sollten, die nur infolge Behinderung oder chronischer Krankheit zusätzliche Studienzeit benötigten, hat sich der EBS - diesmal zusammen mit dem DVBS - unter Ausnützung der Verbindungen, die das Diakonische Werk Baden zum Landtag und zum Wissenschaftsministerium schaffen konnte, um eine Ausnahmeregelung für beide Personengruppen bemüht und auch erreicht.

    

Mit dem DVBS hat er außerdem ein Selbstverteidigungstraining für blinde Frauen angeboten und wird das im Bedarfsfalle wiederholen.

    

Der EBS/Baden versteht sich nicht nur als Ansprechpartner, Berater und Fürsprecher für evangelische Sehgeschädigte und ihre Angehörigen, sondern als ein solcher für alle, die sich an ihn wenden wollen. Er ist hierbei allerdings darauf bedacht, dadurch nicht zur Konkurrenz für andere Organisationen zu werden - dafür ist die Zahl der Betroffenen und die Verschiedenartigkeit ihrer Interessen und Bedürfnisse ohnehin zu groß. Sehgeschädigte, von denen er erfährt, dass sie katholisch sind, verweist er jeweils auch an die katholischen Schwesternorganisation und verweist überall, wo er nicht selbst die nötige Sachkunde besitzt, an andere Organisationen. In seinen Rundbriefen empfiehlt er den Betroffenen von Zeit zu Zeit ausdrücklich, einer Selbsthilfeorganisation beizutreten, schon um weitere Möglichkeiten zum Erfahrungsaustausch in Vereinsversammlungen und Stammtischrunden zu finden, wie umgekehrt der nord- und der südbadische Blinden- und Sehbehindertenverein in ihren Rundbriefen auf die christlichen Organisationen in ihren Vereinsgebieten hinweisen. Allerdings ist die Schwelle, den EBS anzusprechen, niedriger, als diejenige zur Inanspruchnahme der Hilfe anderer Organisationen; denn er erwartet von niemandem, ihm beizutreten.

    

Seit kurzem unterhält der EBS, wenn auch nur auf den Großraum Karlsruhe beschränkt, eine „Helferbörse“. Er sucht Sehende, die bereit sind, ehrenamtlich - nur gegen Erstattung ihrer Auslagen - zu helfen, schult sie im Umgang mit Sehgeschädigten, stellt sie diesen nach Bedarf zur Verfügung und begleitet sie durch eine eigene Supervisorin. Er schult außerdem Angehörige und Freunde Sehgeschädigter im Umgang mit Diesen.

    

Auf lokaler Ebene, wie etwa in Senioren- und Behindertenbeiräten, wäre die Zusammenarbeit der in einer Stadt oder einem Landkreis vertretenen Sehgeschädigtenorganisationen gleichfalls gut vorstellbar. In manchen Kommunen wird sie auch schon praktiziert. In Karlsruhe entsteht gegenwärtig ein Behindertenbeirat. An der Ausarbeitung seiner Statuten haben ein EBS- und ein Mitglied des Nordbadischen Blinden- und Sehbehindertenvereins mitgewirkt. Der Tag der Sehbehinderten wird bereits jetzt von beiden mitgestaltet.

    

Den Rehabilitationsservicestellen nach SGB IX hat der EBS gleichfalls seine Hilfe angeboten, hat die Empfänger seiner Rundbriefe auf die Servicestellen hingewiesen und wird sich diesen alljährlich in Erinnerung bringen.

    

Ich weiß durchaus, dass es auch in anderen Bundesländern Zusammenarbeit gibt.

  

Auf dem Hintergrund dieser Zusammenarbeit sollten wir uns fragen:

    

- welche engere Zusammenarbeit zwischen säkularen und christlichen Sehgeschädigtenorganisationen über bereits bestehende Kontakte hinaus möglich oder gar wünschenswert wäre,
    

- wie wir damit umgehen, dass Sehgeschädigte, die älter werden, und ältere Menschen, die sehgeschädigt werden, das Haus nur noch schweren Herzens verlassen, um an Sehgeschädigtentreffen teilzunehmen.
    

- wie wir - am besten wohl gemeinsam - verstärkt auf unsere Angebote hinweisen, wie wir Sehgeschädigten aus anderen Kulturen begegnen, damit sie in diesen verwurzelt bleiben und sich dennoch in unsere Gemeinschaft integrieren,
    

- wie wir gemeinsam die Möglichkeiten nutzen, die die christlichen Organisationen über ihre Kirchen hätten und die wir alle über unsere Wahlkreisabgeordneten auf Bundes- und Landesebene haben, um unsere Interessen wahrzunehmen, und wie wir im Bedarfsfalle unser Vorgehen koordinieren, um mit einer Stimme zu sprechen.

    

    

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