Inhalt Rechts

Rechte optische Spalte

Sprachauswahl

Dritte Spalte

Inhalt Mitte

Breadcrump Menü

Sie sind hier:

Hauptinhalt

.

Blinde und sehbehinderte ältere Menschen als besondere Zielgruppe unserer Arbeit - 6.2

 

6.2
Karl Matthias Schäfer
als Leiter des Blindenaltenheimes in Kassel
Koreferat
  

1. Einleitung
  

Liest oder hört man durch die Medien von sehbehinderten und blinden Menschen, so betrifft dies meistens junge Menschen, die unter Einsatz modernster technischer Hilfsmittel im Berufsleben ihren Mann oder ihre Frau stehen. Seit Beginn der organisierten Blindenbildung vor ca. 200 Jahren galten die Bemühungen zur Rehabilitation von sehbehinderten und blinden Menschen fast ausschließlich der jungen Generation. Erst in den letzten Jahren rückte die größte Gruppe der blinden und sehbehinderten Menschen, die Senioren - 2/3 aller sehgeschädigten Menschen sind über 60 Jahre -, in den Mittelpunkt der Bemühungen um Rehabilitation.
  

Viele dieser Menschen erhalten nicht die für sie notwendigen Hilfen, denn das Auftreten schwerer Sehbeeinträchtigungen im höheren Lebensalter wird oft als zum "normalen" Alternsprozess zugehörig angesehen. Durch Unkenntnis von Ärzten und Pflegepersonal in Seniorenheimen werden die Betroffenen und ihre Angehörigen oft nicht über mögliche Hilfen informiert.
  

Während Rehabilitationsangebote z. B. für Schlaganfallpatienten nahezu selbstverständlich sind, fehlt für Angebote an Menschen mit Sehverlust im Alter bislang die finanzielle Grundlage und das Bewusstsein. Darüber hinaus gibt es außer in Bayern kaum flächendeckende Beratungs- und Trainingsangebote.
  

Durch den allgemeinen Kostendruck im Gesundheitswesen und demzufolge einen zu geringen Personaleinsatz können Pflegeeinrichtungen den Bedürfnissen blinder und sehbehinderter Seniorinnen und Senioren zumeist nicht Rechnung tragen, auch wenn der Wille dazu vorhanden ist.
  

Hierzu ein Beispiel aus meiner Einrichtung:
  

Wir verfügen über 90 Wohn- und Pflegeplätze, und 80 unserer derzeitigen Bewohner sind demenziell erkrankt. Als ich vor einiger Zeit im Rahmen von Pflegesatzverhandlungen versuchte, neben unserer Ergotherapeutin auch noch eine Sozialarbeiterin fest abzusichern, bekam ich von Seiten meiner Verhandlungspartner die Antwort:
"Herr Schäfer, Sie haben bereits eine Ergotherapeutin. Was wollen Sie auf 90 Heimplätze dann noch mit einer Sozialarbeiterin?"
  

Ich habe die Stelle durchgeboxt. Aber dieses Vorkommnis macht mich sehr nachdenklich.
  

2. Sind Heime ausschließlich für sehgeschädigte Menschen sinnvoll?
  

Zu Begin meiner Tätigkeit war die Seniorenwohnanlage ein Altenheim ausschließlich für blinde und sehbehinderte Senioren. Im Verlauf meiner Tätigkeit wurde die Einrichtung nach und nach auch für sehende Seniorinnen und Senioren geöffnet. Dies hatte ausgesprochen positive Einwirkungen auf das Leben in der gesamten Einrichtung.
  

Sehverlust tritt meist erst in höherem Lebensalter auf. Betroffene haben ihr Leben lang auch über Mimik und Gestik mit anderen Menschen kommuniziert. Wenn die Sehfähigkeit stark eingeschränkt ist oder sogar ganz wegfällt, kann auch keine Kommunikation mehr über Körpersprache stattfinden. Viele ältere Menschen hören unter diesen Umständen einfach auf, miteinander zu kommunizieren.
  

Ist die Gruppe gemischt, besteht also aus sehenden und sehgeschädigten Heimbewohnern, ist die Kommunikation untereinander viel stärker ausgeprägt, und das Gruppenleben verläuft insgesamt lebhafter.
  

Man sollte sich tatsächlich die Frage stellen: Warum gerade besondere Heime für Blinde?
  

Es gibt durchaus Senioreneinrichtungen für Sehende, in denen trotz Kostendruck und Personalmangel auch blinde und sehbehinderte Heimbewohner ausgesprochen gut unterstützt werden. Wichtig ist hier eine gute Personalschulung.
  

3. Wohnformen und Qualitätssicherung
  

Es ist dringend erforderlich, neue Betreuungs- und Rehabilitationsformen für Senioren zu entwickeln. Das derzeit leider noch übliche Altenheimsystem ist nicht mehr zeitgemäß. Den Ansatz, "Hausgemeinschaften" zu etablieren, ist sinnvoll. Er kann aber nur funktionieren, wenn auch die Rahmenbedingungen für Pflege und Rehabilitation älterer Menschen verändert werden.
   

Überall im Bereich der Altenwohn- und Pflegeheime wird von Qualitätssicherung geredet. Sie wird von der Heimaufsicht und den Pflegekassen eingefordert. Doch macht diese so genannte Qualitätsicherung wirklich Sinn?
  

Die heute vorgeschriebene Qualitätssicherung ist eine solche auf dem Papier. Mit ihr kann zwar eine lückenlose funktionale Pflege erreicht werden, die jeder juristischen Überprüfung standhält. Jedoch geht diese Entwicklung leider mit einem gleichzeitigen Personalabbau einher. Die Pflegekräfte sind also angehalten, die funktionale Versorgung der Bewohner einzuhalten, aber der menschliche Kontakt bleibt dabei auf der Strecke. Die Personalbemessung in den Altenwohn- und -pflegeheimen erfolgt lediglich nach zu leistenden Pflegetätigkeiten und nicht nach der notwendig zu schaffenden Pflegequalität, die auch die menschliche Ebene mit einbezieht.
  

Alle neuen Wohnkonzepte nützen nichts, wenn sich das bestehende System nicht ändert. Lebensqualität bedeutet auch eine Umgebung, in der man sich wohlfühlen kann, in der genügend Zeit für freundliche Worte und eine sinnvolle Freizeitgestaltung möglich ist.
  

Der Autor dieser Zeilen hat seine siebenjährige Tätigkeit als Heimleiter aus den oben beschriebenen Gründen aufgegeben.
  

  

  

Weiter im Text

 

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

   

   



.