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Blinde und sehbehinderte ältere Menschen als besondere Zielgruppe unserer Arbeit - 8.8

8.8
Prof. Dr. Hans-Werner Wahl
Deutsches Zentrum für Alternsforschung an der Universität Heidelberg
Beitrag zur Karlsruher Erklärung

  

Das Bild des Alters hat sich erfreulicherweise in der gerontologischen Forschung wie in der Öffentlichkeit in den letzten zwei bis drei Dekaden zum Positiven gewandelt bzw. es ist zumindest deutlich differenzierter geworden und nicht mehr einseitig an einem Defizit- oder Defektbild von Altern ausgerichtet. Gleichzeitig scheint es so zu sein, dass das sehr hohe Alter (Hochaltrige sind die derzeit am stärksten wachsende Bevölkerungsgruppe) neue Herausforderungen in Richtung Versorgung, aber auch Nutzung von Potentialen stellt. Im sehr hohen Alter werden zweifellos Krankheiten und Funktionseinbußen, so auch Seheinschränkungen, häufiger, aber wir sollten dabei nicht vergessen, dass auch in diesem Lebensabschnitt Alter und Altern vor allem durch "Heterogenität", also durch extreme Unterschiede zwischen Personen gekennzeichnet ist.
  

Das Anwachsen der Lebenserwartung und speziell das Anwachsen der sog. "fernen" Lebenserwartung und damit der starke Anstieg der Hochaltrigen haben auch schwere Seheinbußen in ein neues Licht gerückt. Seheinschränkungen gehören zu den zu "prävalenten" Einbußen im (hohen) Alter (etwa jede 5. Person über 65 Jahre und jede 4. Person über 80 Jahre ist betroffen), die
  

- in ihren Alltags- und Lebensqualitätsauswirkungen besonders bedrohlich sind,
  

- die deshalb häufig einer Unterstützung weit über die reguläre augenärztliche und hilfsmittelbezogene Versorgung hinaus bedürfen und
  

- die bislang in der gerontologischen Forschung vernachlässigt worden sind.
  

Ad 1.: Es ist heute unbestritten, dass die Erfahrung von schweren Seheinschränkungen im höheren Lebensalter mit schwerwiegenden Verlusten im Bereich der alltagspraktischen Fertigkeit, der Durchführung von Freizeitaktivitäten, der außerhäuslichen Mobilität und der Emotionalität verbunden ist. Immer wieder sind beispielsweise höhere Depressivitätsraten bei sehbeeinträchtigten Älteren gefunden worden.
  

Ad 2.: Psychosoziale Versorgungsbedarfe werden in unserem stark auf den Körper ausgerichteten Gesundheitssystem oft vernachlässigt. Dies scheint mir im Falle sehbeeinträchtigter älterer Menschen in besonderem Maße der Fall zu sein. Vor allem in jenen Fällen, in denen die Aussicht auf Heilung eher begrenzt ist (prototypisch derzeit bei der altersabhängigen Makuladegeneration), sind solche Bedarfe in besonderem Maße gegeben, aber werden praktisch kaum abgedeckt. Es liegt hier eine eklatante Versorgungslücke vor. Die notwendige psychosoziale Versorgung muss aus meiner Sicht auch institutionell (etwa durch psychologische Beratungs- und Betreuungsangebote) angeboten werden und würde, so meine These, sich wahrscheinlich auch finanziell rechnen, da Folgekosten ungedeckter psychosozialer Bedarfe (z.B. unnötige weitere medizinische Behandlungen, Medikamente) eingespart werden können, wenn die Betroffenen wieder psychisch stabiler geworden sind.
  

Ad 3.: Nichts ist praktischer als eine gute Theorie, hat der deutsche Psychologe Kurt Lewin einmal gesagt. Ich denke, dies gilt auch für Forschungsbefunde in Bezug auf schwere Seheinbußen im höheren Lebensalter. Erfreulicherweise ist die einschlägige Forschung in den letzten 20 Jahren deutlich angestiegen, jedoch vor allem in Deutschland sicherlich nicht ausreichend. Forschungsbefunde sind aber notwendig, um Interventionsangebote zu konzipieren, unnötige bzw. weniger hilfreiche Versorgungselemente gar nicht erst ins Auge zu fassen und, wie es heute heißt, evidenz-basierte Entscheidungen der Kostenträger zu befördern. Vor diesem Hintergrund sehe ich vor allem Forschungsbedarf in zweierlei Hinsicht: (1) Wir brauchen längsschnittlich angelegte Studien, also die Untersuchung von sehbeeinträchtigten Älteren über die Zeit hinweg, um Bewältigungsprozesse und Risikofaktoren für psychisch problematische Entwicklungen der Person im Sinne frühzeitiger Intervention (und damit Prävention) zu identifizieren; (2) Wir brauchen regelrechte Modellprogramme mit Evaluationsforschung, welche die Brauchbarkeit von psychosozialen Versorgungsprogrammen prüfen und vor allem auch die zentrale Frage untersuchen, welche Formen der Intervention bei welchen sehbeeinträchtigten alten Menschen kurz- und längerfristig am besten helfen (siehe noch einmal die große "Hetereogenität" des Alters, die natürlich auch bei seheingeschränkten Älteren gegeben ist).
  

  

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