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Nicht verzagen sondern wagen - 24.

  

24. Ein Wort an die Hausgenossen
   

Ehe ich zum Schluss komme, möchte ich auch Ihren Hausgenossen, sofern Sie solche haben, einige Ratschläge geben, die Sie selbst sich aber gleichfalls anhören sollten:

Während ich früher stets Sie als "Hausgenossen" bezeichnet habe, meine ich jetzt damit den Menschen, um den es in diesem Ratgeber in erster Linie geht.

Ist seine Erblindung nicht allmählich, sondern plötzlich eingetreten, so hat dies bei ihm wahrscheinlich einen schweren Schock hervorgerufen, der ihn manchmal geradezu unausstehlich machen könnte. Mit Ihrer Hilfe und dem Austausch mit anderen Blinden ( s. o. zu 22. ) wird er auch darüber eines Tages hinwegkommen. Aber vielleicht braucht er noch viel Zeit dazu. Notfalls sollte er einen Psychotherapeuten konsultieren.

Für Sie selbst war die Erblindung Ihres Hausgenossen zunächst vielleicht gleichfalls ein großer Schock. Sie aber werden ihn schneller überwinden. Darum werden Sie auch in der Lage sein, ihm zu helfen, eines hoffentlich nicht allzu fernen Tages seine Blindheit zu akzeptieren. Können auch Sie sich nach einiger Zeit mit der Erblindung Ihres Hausgenossen noch nicht abfinden, so nehmen Sie gleichfalls psychotherapeutische Hilfe in Anspruch, denn von der Aussöhnung mit dem neuen Leben hängt jetzt Ihrer beider Wohlbefinden ab. Stellen Sie sich dieser Herausforderung. Dann können trotz allem noch erfüllte Jahre vor Ihnen liegen.

Ihr Hausgenosse fühlt sich vielleicht extrem abhängig von Ihrer und der Hilfe anderer. Vielleicht ist er es tatsächlich. Lassen Sie ihn das aber nicht spüren, sondern ermutigen und unterstützen ihn, wo immer Sie können, wieder selbständiger zu werden. Suchen Sie gemeinsam mit ihm in diesem Ratgeber nach Möglichkeiten dazu. Was er früher für Sie beide tat, kann er vielleicht nicht mehr, dafür aber möglicherweise anderes. Überlegen Sie es mit ihm und lassen sich gefallen, dass er, wenn er es kann, Aufgaben übernimmt, die früher die Ihrigen waren. Geben Sie ihm das Gefühl, noch gebraucht zu werden. Bitten Sie ihn zusätzlich, die Hilfe einer Lehrerin für lebenspraktische Fähigkeiten in Anspruch zu nehmen ( s. o. zu 2.2.2 ). Sind Sie erfinderischer als er, so können Sie ihm aber auch vielleicht selbst schon zeigen, wie er etwas tun könnte, indem Sie es zunächst mit geschlossenen Augen probieren.

Macht Ihr Hausgenosse ein Training in Orientierung und Mobilität ( s. o. zu 2.2.1 ), so lassen Sie sich von der Lehrerin informieren, wie Sie ihm später am besten einen Weg erklären und Anhaltspunkte und Leitlinien für ihn finden.

Ihr Hausgenosse tut vieles langsamer, als Sie es täten. Machen Sie es trotzdem nicht an seiner Stelle, sondern haben Geduld. Mit der Zeit wird er es schneller können. Bekanntlich macht erst Übung den Meister. Sagen Sie das auch ihm, wenn er es nötig haben sollte. Und machen Sie ihm bei Misserfolgen keine Vorhaltungen, sondern helfen ihm, es das nächste Mal zu schaffen.

War Ihr Hausgenosse früher der Familienmittelpunkt, so helfen Sie ihm, es weiterhin zu bleiben oder wieder zu werden. Tragen Sie mit dazu bei, Hemmungen der Enkel oder Urenkel Ihrem Hausgenossen gegenüber abzubauen. Kinder sind gegenüber jemandem, der sie nicht ansehen kann, zunächst besonders scheu.

Jammert Ihr Hausgenosse über sein Schicksal, so hören Sie sich wahrscheinlich am besten seine Klagen zunächst ruhig an. Wollen Sie ihm am Ende mehr als ein bloßes Trostwort sagen, so argumentieren Sie jedenfalls nicht, dass Krebs oder Aids noch schlimmer seien, sondern vermitteln ihm die Hoffnung, er werde sich mehr und mehr an seine Blindheit gewöhnen und immer perfekter die Techniken erlernen, die er braucht, um sie zu bewältigen.

Vielleicht hat Ihr Hausgenosse noch einen geringen Sehrest, der ihn mancherlei selbst erkennen lässt, aber je nach seinem körperlichen Befinden schwankt, und dessen Verwertung außerdem sehr von den jeweiligen Beleuchtungsverhältnissen abhängt. Denken Sie darum nicht, Ihr Hausgenosse simuliere nur, wenn er heute etwas nicht sieht, was er gestern noch sah, sondern hoffen mit ihm darauf, es morgen wieder zu sehen.

Es kann geschehen, dass Ihr Hausgenosse Sie in einem völlig ungeeigneten Augenblick um etwas bittet, weil er nicht weiß, was Sie gerade tun. Sagen Sie ihm das, aber vergessen auch nicht, sich ihm zuzuwenden, wenn Sie die andere Arbeit beendet haben.

Denken Sie nicht, Sie müssten jetzt alle Ausdrücke vermeiden, die sich auf das Sehen beziehen. Oft gibt es gar keine natürlich klingenden Ersatzwörter. Auch wir Blinden sagen, wir hätten jemanden "gesehen", wir freuten uns aufs "Wiedersehen" oder "sähen etwas ein".

Sie können auch weiterhin mit Ihrem Hausgenossen über das Aussehen von Menschen und Gegenständen sprechen. Vielleicht interessiert er sich sogar sehr dafür. Jedenfalls halten Sie auf diese Weise seine Seherinnerung wach.

Begleiten Sie ihn und kommen Ihnen Menschen entgegen, mit deren Gruß Sie rechnen oder die Sie Ihrerseits grüßen wollen, so sagen Sie ihm im Voraus, wer es sein wird, damit auch er grüßen kann.

Am Anfang wird es ungewohnt für Sie sein, Ihrem Hausgenossen etwas im Einzelnen zu beschreiben. Es bringt aber auch Ihnen selbst Gewinn; denn wie die Erfahrung lehrt, sehen Sie besser hin, wenn Sie etwas beschreiben wollen, was auch ihnen zum Vorteil gereicht.

Damit Ihr Hausgenosse bei einer Behörde, im Geschäft oder Restaurant das Gespräch leichter an sich ziehen kann, nehmen Sie selbst sich nach der Herstellung des Kontakts zurück. Sagen Sie dem, der Sie anspricht etwa: "Mein Mann…." oder "meine Mutter möchte..."

Denken Sie mit darüber nach, wie Ihr Hausgenosse seine bisherigen Hobbies weiterhin pflegen und neue gestalten kann. Helfen Sie ihm auch, frühere Kontakte aufrechtzuerhalten und neue aufzubauen.

Geben Sie Ihrem Hausgenossen ein Zeichen, ehe Sie den Raum verlassen oder im Restaurant ans Buffet gehen.

Handeln Sie in Gegenwart Ihres Hausgenossen stets so, als sähe er noch. Geben Sie insbesondere anderen nicht Zeichen, die er nicht sehen kann und auch nicht sehen soll. Er muss Ihnen seit seiner Erblindung besonderes Vertrauen entgegenbringen. Missbrauchen Sie es nicht!

Denken Sie daran, dass Ihr Hausgenosse

  • ein Getränk verschütten kann, wenn Sie das Gefäß bis zum Rande füllen,

  • Blumenvasen umstoßen kann, die Sie an einem ungewohnten Ort aufstellen,

  • Sachen suchen muss, die Sie nach Gebrauch nicht sogleich wieder an ihren bisherigen Platz zurücklegen,

  • sich an Stühlen stößt, die Sie nicht wieder unter den Tisch schieben und an Schranktüren, die Sie offen stehen lassen und

  • über Eimer, Staubsauger usw. fallen kann, die Sie nach Gebrauch stehen lassen.

Wo Konflikte drohen, sprechen Sie sie beherzt an, damit sie möglichst früh ausgeräumt werden. Auch Sie haben Anspruch auf ein Eigenleben, auf Ruhe und Erholung!

  
  
     

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